REVIEW | Sound Development at Songbird Festival Davos 2011

26.01.2012 17:26 SONGBIRD FESTIVAL

SONGBIRD, BREITE DEINE FLÜGEL AUS: DIE ISLÄNDISCH-ITALIENISCHE KÜNSTLERIN EMILíANA TORRINI UND DER ZÜRICHER REZA DINALLY VERWANDELTEN MITTE DEZEMBER DAS HOTEL SCHATZALP ÜBER DAVOS IN EINE LEUCHTENDE FESTUNG DER HERZEN.  DIE IN DIESEM JAHR ZUM ZWEITEN MAL DURCHGEFÜHRTE SOUND DEVELOPMENT NIGHT, EIN ATMOSPHÄRISCHER HÖHEPUNKT DES SONGBIRD-FESTIVALS.

Alles ist weiss. Der Horizont, die Matten. So dicht ist das Schneetreiben, dass man kaum die Hand vor den Augen sieht, als man von der Bergstation zur Lobby des altehrwürdigen Hotels Schatzalp stapft und dabei den Blick ins Tal senkt. Minuten später hat man sein Zimmer in Besitz genommen, ist erfreut über das Intérieur aus dem Fin de Siècle. Die zwei antiken Fenstertüren quietschen beim Öffnen. Der Klang eines hundertjährigen Gemäuers. Über dem Balkon tanzen lautlos und endlos die Flocken. Eine gleissend-bleierne Vista bietet sich dar, ein veritabler Schneetraum. Das erinnert ein wenig an jenes Kapitel aus dem berühmten “Zauberberg” von Thomas Mann. Ja, wie spannend wäre es jetzt wohl, hier oben eingeschneit zu werden, in den Räumlichkeiten dieses so literaturträchtigen Sanatoriums. Über Tage von der Aussenwelt abgeschlossen sein. Weit weg vom Unterbrechungswahnsinn des digitalen Alltags.

Allein, man ist ja aus ganz anderem Grund auf den Berg gereist. Es ist der vorletzte Tag des Songbird-Festivals, und die isländische Songwriterin Emilíana Torrini spielt hier als internationaler Haupt-Act. Dafür hat sie in London eigens eine kleine und spezielle Formation aus drei Musikern zusammengestellt. Jetzt probt sie, kurz vorm Eindunkeln, im Hauptsaal des Hotels Schatzalp. Zum Soundcheck. Emilíana ruckelt das Mikrofon zurecht, und singt. Immer wieder, wenn auch nur kurz, tönt die leichte Melancholie an, für die Emilíana so von ihren Fans geschätzt wird. Kerzen werden angezündet, an den Jugendstilfenstern leuchten Blumenmotive in psychedelisch-schimmernden Farben. Wer weiss, vielleicht beginnt das florale Dekor nach drei, vier Kräuterschnäpsen auch tatsächlich seine grünen Glieder zu schwenken?

Um halb neun ist der Saal prallvoll. Die Leute sitzen gespannt auf ihren Stühlen. Es firmiert eine Heimeligkeit, eine Ambiance familiärer Verschworenheit. Der Züricher Songwriter Reza Dinally steht auf der Bühne, bärtig und mit Gitarre bewehrt. Reza schliesst die Augen, versenkt sich. Hebt dann an, mit einer Stimme, die ein zartdunkles Schmettern ist, kräftig, voller Seele. Reza spielt Folkbluesiges, Balladen der Sehnsucht. Und dann auch seinen eigentlichen Mini-Hit “In Between”, den er, ganz Postillon d’amour, im Auftrag jemandem als Widmung dargibt. Das seien zwei, die “fest verliebt seien.” Zum Schluss macht Reza eine Zugabe, jammt noch einmal richtig los. Und leitet zum Hauptact des Abends über, mit den verheissungsvollen Worten: “Jetzt wird es noch viel schöner.”

Die Beleuchtung wird runtergedimmt, Kerzen tauchen alles in warmes Licht und draussen scheint der Vollmond. Auftritt von Emilíana Torrini und ihrer Band: Mit “Nothing brings me down” legt sie los, schwelgt in elfenhafter Verve. Sie sei etwas nervös, gesteht sie. Tatsächlich wirkt Torrini ein bisschen aufgeregt, wie vielleicht jeder Künstler, der das Wagnis eingegangen ist, in so intimen Rahmen zu spielen. Umso charmanter gerät dann die Reise, auf sie ihre rund 200 Zuhörer mitnimmt. Sie moderiert ihre Songs jeweils in zauberhaftem Deutsch mit isländischem Akzent an und hat dabei fast komödiantisches Talent. Lachen im Publikum. Emilíana Torrini erzählt von Blumenkindern, die in der Grossstadt gelandet sind.  Es sind Geschichten von  sturztrunkener Liebe und Songs von rotglühendem Furor. Das Leben, wie es spielen könnte. Bald entzückt, bald entrückte Gesichter im Publikum. Grosses Leuchten, grosser Applaus.

Wochen später wird sich Emilíana Torrini mit leiser Wehmut ans Hotel Schatzalp erinnern. “Es war eine ganz gemütliche Atmosphäre, ein grossartiges Publikum und eine atemberaubende Location.” schreibt sie in einem Mail. “Buchstäblich atemberaubend. Ich liebte diese Stille. Und geschlafen habe ich wunderbar: Mit allen Fenstern offen, um mir das Maximum an frischer Luft zu holen.”. Die Schneeflocken, sie werden lautlos dazu getanzt haben.

TEXT: Bjørn Schaeffner  | FOTOS: Fadri Comps und Bjørn Schaeffner

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